Systematische Theologie

Eleonore Stump: Atonement

Eleonore Stump: Atonement, Oxford Studies in Analytical Theology, Oxford: University Press, 2018, Hb., 538 S., US $ 85,–, ISBN 978-0-19-881386-6


Eleonore Stump (Ph. D. Cornell Universität) ist Spezialistin für die Philosophie des Mittelalters und analytische Theologin. Sie ist Inhaberin des Robert-J.-Henle-Lehrstuhls für Philosophie an der St. Louis Universität in den USA.

Ihr Buch Atonement ist Teil der Oxford Studies of Analytic Theology, die von Michael C. Rea und Oliver D. Crisp herausgegeben werden. Im ersten Kapitel von Teil I legt sie dar, dass sie mit Hilfe der analytischen Philosophie untersuchen möchte, wie der Kreuzestod von Christus die Menschen mit Gott in eine Beziehung bringt und inwiefern sein Kreuzestod mit der Idee eines liebenden Gottes vereinbar sei. Dabei sind ihre Grundlagen die christologischen und trinitarischen Bekenntnisse der alten Kirche (3–11). Überdies versteht sie ihr Thema „Atonement“ etymologisch als „at-one-ment“, zu Deutsch etwa „(In-)Eins-machung“. In Kapitel 2 kontrastiert sie zwei dominante Antworten, welche in der christlichen Tradition zu Schuld, Scham und Satisfaktion vorhanden sind. Auf der einen Seite Anselm von Canterbury, welcher v. a. in der protestantischen Tradition rezipiert sei, sowie Thomas von Aquin, welchen sie als Urheber eines breiten Stromes der katholischen Theologie einordnet (39–79). In Kapitel 3 erklärt sie die „anselmische“ Ansicht, dass Gott Christus für unsere Sünden sterben lassen musste, um uns Vergebung zu gewähren, für inkompatibel mit der Liebe Gottes und „unrettbar“. Stattdessen plädiert sie für einen breiten thomistischen Ansatz, der das Kreuz als Gottes Antwort auf Schuld und Scham sieht, die aber auch anders hätte aussehen können (71–112).

Im Teil II kommt sie schließlich dazu, eine eigene Antwort zu geben, was „Einheit mit Gott“ auf thomistischer Grundlage bedeuten könnte, indem sie mehrere Fragenkomplexe diskutiert, die damit zusammenhängen. In Kapitel 4 behandelt sie die Frage, inwiefern Gott in den Gläubigen im besonderen Sinne lebt, wenn er allgegenwärtig ist, und bietet dabei einen sehr hilfreichen Überblick über verschiedene mögliche Antworten. Sie kommt zum Schluss, dass Kreuz und Auferstehung letztlich auf die Einwohnung des Heiligen Geistes im Gläubigen zielen (115–142). In Kapitel 5 beleuchtet Stump die Frage, was es bedeutet, wenn Jesus als „wahrer Gott und wahrer Mensch“ am Kreuz von Gott verlassen worden sei. Sie verwirft dabei die patristische Antwort, dass dies im Lichte des ganzen Psalms 22 und nicht als Einzelvers zu interpretieren sei (147f). Vielmehr seien „alle menschlichen Psychen in den Geist von Christus hineingeflossen“ und so werde die Einheit zwischen Gott und Mensch ermöglicht (174). In Kapitel 6 verwirft sie mit Hilfe von Thomas von Aquin die theologische Ansicht von Meister Eckhart, dass es bedeute zu „wollen, was Gott will“, wenn man keine Begierde mehr habe, als „selbstzerstörerisch“. Dieser stellt sie den Dyotheletismus von Jesus im Garten von Gethsemane entgegen (195). In Kapitel 7 möchte sie die Werke von Thomas als hilfreichen Anhaltspunkt dafür nutzen, „Leben in Gnade“ (197–220) relational (anstelle von forensisch, 228) zu verstehen, sowohl im Hinblick auf Rechtfertigung als auch auf Heiligung.

In Teil III setzt Stump alles daran, dieses relationale Verständnis von Gnade biblisch und theologisch zu legitimieren. Zur Illustration benutzt sie in Kapitel 8 dafür diverse neutestamentliche Narrative, wie etwa der Versuchung von Jesus. In Kapitel 9 argumentiert sie gegen die forensische Natur göttlicher Gnade mit Hilfe des klassisch-katholischen soteriologischen Dreischritts: Kommen zu Christus, Eingießen der Gnade in der Eucharistie und freiwilliges Ausharren bis ans Ende mit Hilfe von Gottes Kraft (335).

Schließlich stellt Stump in Teil IV dar, welche Vorzüge die Lehre von „Atonement“ ihrer Ansicht nach habe. In Kapitel 10 legt sie noch einmal leidenschaftlich dar, dass der Kreuzestod von Jesus tatsächlich die Lösung für die menschlichen Probleme von Schuld und Scham bringe, aber eben nicht im anselmisch-protestanstischen Sinne, sondern indem Christus am Kreuz „seinen Geist für die Psyche aller Menschen geöffnet habe“. So habe er das Problem der Scham gelöst, indem Menschen an Christus und Christus an den Menschen Anteil hätten (357). Gleichermaßen wird nicht Gott für Sünde durch das Kreuz entschädigt, sondern die Sünde wird überwunden, indem es zu einer menschlichen Teilhabe an Christus und dadurch einer echten Wesensveränderung im Menschen kommt (369–371).

Eleonore Stump hat mit ihrem Werk „Atonement“ ein äußerst geistreiches und intelligentes Buch geschrieben, das Vertreter einer forensischen Rechtfertigung gerade dadurch herausfordert, da sie ihre Kritik auf der Grundlage der Bibel und der ökumenischen Bekenntnisse vorbringt. Konservative Anhänger der reformatorischen Rechtfertigungslehre können sich daher nicht damit begnügen, diese einfach als „liberal“ oder „historisch-kritisch“ zu verwerfen, sondern müssen sich ehrlich mit ihr auf Augenhöhe auseinandersetzen. Dieses Werk weist Stump einmal mehr als eine der führenden Interpreten von Thomas von Aquin aus und es gibt wohl wenige Gelehrte auf dem Planeten, die ihr hier das Wasser reichen können. Dazu ist es so, dass Kapitel 1 hilfreiche Erklärungen gerade für europäische Theologen bietet, was denn „Analytische Theologie“ genau ist, welche sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer mehr im angelsächsischen Sprachraum ausgebreitet hat und auch der deutschsprachigen Theologie viele hilfreiche Impulse weiterzugeben hätte.

Das Buch wäre allerdings noch überzeugender gewesen, wenn Stump sich die Mühe gemachte hätte, die „anselmische“ Position eingehender zu studieren. So findet sich in der Bibliografie mit Ausnahme der Anselm-Biografie von Richard Southern überhaupt keine Forschungsliteratur zu Anselm. Stump scheint ihn ausschließlich durch die Lupe seiner schärfsten Kritiker, wie etwa J. McLeod Campbell zu interpretieren (73). Auch fehlt eine eingehende Beschäftigung mit Forschungsergebnissen zur reformatorischen Soteriologie, gegen welche sie so stark polemisiert. Dies hätte sie wahrscheinlich realisieren lassen, dass sowohl Anselm als auch die Reformatoren Erlösung nicht nur „forensisch“, sondern sehr wohl auch personal verstehen, auch wenn sie den forensischen Aspekt hervorheben. Ein weiterer Punkt, der das Buch am Anfang schwer zu lesen macht, ist, dass sie „Atonement“ als „Einsmachung“ statt „Sühne“ versteht. So etymologisch richtig dies auch sein mag, so wenig hört das selbst ein native speaker heute noch aus dem Wort auf Anhieb heraus.

Die ausführliche Lektüre dieses intellektuell herausfordernden Buches lohnt sich sehr, gerade wenn man sich als Protestant mit den stärkstmöglichen Argumenten für eine orthodox-thomistische Ablehnung der reformatorischen Soteriologie vertraut machen will.


Alex Weidmann ist Doktorand im Bereich Systematische Theologie an der Trinity Evangelical Divinity School in den USA.